Die Rolle des Laienpriesters in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Europa
Ein Bischof in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist kein Berufsgeistlicher, er hat kein Theologiestudium absolviert und seine Amtszeit ist begrenzt. Dennoch genießt er bei den Mitgliedern der Kirche hohes Ansehen, denn sie sind davon überzeugt, dass Gott ihn berufen hat, sie zu führen.
Was ist ein Bischof?
Als Bischof bezeichnet man den Leiter einer größeren Kirchengemeinde. Eine kleinere Gemeinde wird Zweig genannt und von einem Zweigpräsidenten geleitet. Der Bischof bildet mit seinen beiden Ratgebern die Bischofschaft, das führende Ratsgremium einer Gemeinde. In einem Handbuch der Kirche steht: „Die Bischofschaft ist für alle Mitglieder, Organisationen und Aktivitäten der Gemeinde zuständig.“
Die Aufgaben eines Bischofs
Die Pflichten eines Bischofs ähneln denen eines Pfarrers, Pastors, Priesters oder Rabbiners, aber für die vielen Stunden, die der Bischof jede Woche der Kirche dient, wird er nicht bezahlt, und er hat zusätzlich noch ein Familienleben und geht einer beruflichen Tätigkeit nach. Der Bischof hat den Überblick über die geistigen, sozialen und materiellen Bedürfnisse seiner Gemeindemitglieder und kümmert sich auch um Verwaltungsaufgaben. Er sorgt zum Beispiel für die Gestaltung der Gottesdienste, beaufsichtigt alle Gemeindeorganisationen und Ratsmitglieder, koordiniert die Wohlfahrtsarbeit und berät die Mitglieder in geistigen und weltlichen Fragen.
Angesichts so einer Aufgabe kann man sich schon überfordert fühlen, meint Bischof David Newell aus Eskilstuna in Schweden. „Natürlich ist das erst einmal erdrückend und man fühlt sich der Aufgabe womöglich nicht gewachsen“, erklärt Bischof Newell, „aber man nimmt die Berufung an, weil man glaubt, dass der Herr einen unterstützen und befähigen wird, mehr zu leisten, als man aus eigener Kraft schaffen könnte.“
Victoria und Ben Dearnley aus Manchester finden, dass ihr Bischof „ihr Leben unermesslich bereichert hat“, als er sie in schwierigen Zeiten unterstützte. „Als wir vor kurzem in einer Notlage waren, hat unser Bischof dafür gesorgt, dass es uns sowohl körperlich als auch geistig an nichts mangelte. Er hat uns wieder aufgerichtet, als alle Hoffnung verloren schien, und er betete für uns, als unsere Kraft nachließ.“
Die Aufgabe eines Bischofs besteht darin, die Mitglieder in ihrem Bestreben, Jesus Christus nachzufolgen, zu unterstützen. Dazu gehört auch, denen zu helfen, die Fehler gemacht haben oder die gerade vor Schwierigkeiten stehen.
„Ich weiß noch, wie ich einmal ein Paar besucht habe, dessen Sohn gerade tot zur Welt gekommen war. Ich war der erste Besucher. Was um alles in der Welt sollte ich sagen?“, erzählt Bischof Newell. „Es war genug, dass ich ihnen sagte, wie sehr sie mir am Herzen liegen und wie sehr der Erretter sie liebt.“
Bischof James Holt aus Manchester sagt, dass seine Aufgabe dann am schwierigsten ist, „wenn Menschen schlechte Entscheidungen treffen, die ihnen selbst oder anderen Schmerzen verursachen. Wir glauben an die Entscheidungsfreiheit, und tatsächlich treffen die Leute ja mal gute, mal schlechte Entscheidungen.“
Nico Jigolea, der in Rumänien Zweigpräsident – also Leiter einen kleineren Gemeinde – ist, kann das nur bestätigen. „Der schwierigste Teil meiner Berufung ist, wenn ich sehe, wie Menschen falsche Entscheidungen treffen und dadurch nicht die Segnungen Gottes genießen können.“
Ein wichtiger Aspekt der Aufgabe eines Bischofs besteht darin, die Mitglieder der Kirche bei der Umkehr zu unterstützen. Bischof Daniel P. Dätwyler aus Bern achtet darauf, die ihm anvertrauten Mitglieder niemals zu verurteilen, denn er spürt, dass Gott sie liebt. „Ich merke, wie sehr sich der Erretter über jeden freut, der umkehren und ihm näherkommen möchte. Zuerst war ich erstaunt, denn als Menschen neigen wir dazu, von Verhaltensweisen enttäuscht zu sein, die nicht unseren Erwartungen entsprechen. Aber der Herr ist anders. Ich sehe, wie er sich über jedes einzelne seiner Kinder freut, das zu ihm kommt.“
Wie ein Bischof ausgewählt wird
Das Bischofsamt wird nicht ausgeschrieben. Ein Regionalleiter, der sogenannte Pfahlpräsident, legt der Ersten Präsidentschaft der Kirche eine Empfehlung vor. Sobald diese angenommen wurde, fragt der Pfahlpräsident den potenziellen Bischof, ob er die Aufgabe übernehmen möchte, und bittet dessen Frau um Unterstützung.
In einem Handbuch der Kirche steht: „Die Führungsbeamten bemühen sich bei der Entscheidung, wer zu einem Amt berufen werden soll, um Führung durch den Geist. Sie überdenken, ob das betreffende Mitglied die für das Amt erforderliche Würdigkeit besitzt. Sie berücksichtigen auch die individuellen Umstände und die familiäre Situation. Jede Berufung soll sowohl den Menschen, denen gedient werden soll, zugutekommen als auch dem betreffenden Mitglied und seiner Familie.“
Die Führungsverantwortung auf lokaler Ebene wechselt etwa alle fünf Jahre. So kann aus einem Nachbarn schnell ein Bischof werden. Bischof Holt erinnert sich an den Moment, als seine Berufung zum Bischof verkündet wurde: „Da ging ein Raunen durch die Gemeinde. Ich wusste genau, was die Leute dachten! Mir war angst und bange, weil ich keine Ahnung hatte, was auf mich zukam. Es ist eine so erdrückende Verantwortung, dass ich mich ständig frage, ob ich dem Vertrauen, das der Herr in mich gesetzt hat, gerecht werden kann.“
Sobald ein Bischof ausgewählt wurde, wird sein Name der Gemeinde vorgelegt. Dann können die Mitglieder dem neuen Bischof ihre Unterstützung zusagen, indem sie die Hand heben. Die Hand zu heben, um jemanden zu bestätigen, bedeutet jedoch nicht, ihn ins Amt zu wählen. Es zeigt, dass man darauf vertraut, dass jemand von Gott berufen ist.
Jiří Červeň aus Tschechien unterstützt seinen Bischof, indem er ihn „immer fragt, ob er Hilfe braucht. Ich hebe die Hand bei der Bestätigung. In der Familie beten wir jeden Tag dafür, dass es ihm gut geht.“
Wurde ein Bischof entlassen, bezeichnen viele Kirchenmitglieder ihn auch dann noch als Bischof, wenn ihm schon wieder neue Aufgaben in der Gemeinde übertragen wurden. „Ich hoffe, dass ich nach meiner Entlassung meine Traumberufung erhalte und im Kindergarten meine beiden kleinen Kinder unterrichten kann“, sagt Bischof Paul Jared Brooks aus Manchester.
Die Aufgaben eines Bischofs in Europa heute
Bischof Francisco Javier Moldes Calvelo aus Madrid sagt: „Ich vermute, in Spanien Bischof zu sein, ist nicht anders als in anderen Ländern. Jeder Bischof auf der ganzen Welt wird daran arbeiten müssen, den Kindern unseres himmlischen Vaters zu helfen, sie aufzurichten und sie zu inspirieren.“
Bischof Holt versucht, dem Willen Gottes zu folgen, wenn er den Mitgliedern seiner Gemeinde hilft. „Meine Aufgabe besteht einfach darin, die Rolle zu übernehmen, die Gott für mich im Leben eines Menschen vorgesehen hat, und auf den Geist zu hören. Den Rest lege ich einfach in seine Hand.“
Bischöfe und ihre Ratgeber führen im Rahmen ihrer Aufgaben auch regelmäßig Gespräche mit allen Mitgliedern ab elf Jahren. Der Sinn dieser Unterredungen besteht darin, dass die Bischofschaft die Gemeinde kennenlernt und einen Eindruck bekommt, wie jeder Einzelne zur Kirche und ihren Lehren steht.
„Bei diesen Gesprächen merke ich, dass der Herr will, dass ich in meinem Leben Fortschritt mache und meine Berufung besser ausfülle“, erklärt Maria Stoica aus Rumänien. „Wir beginnen mit einem Gebet, um den Geist des Herrn zu uns zu bitten, und dann stellt der Bischof mir ein paar simple Fragen zu meinem geistigen Wohlbefinden. Die Fragen sind wirklich ganz einfach, und ich kann mich öffnen und über meine Sorgen sprechen.“
„Ich bin mein Leben lang Mitglied der Kirche und habe schon viele Unterredungen mit dem Bischof erlebt. Ich kann jedem versichern, dass es da sehr liebevoll zugeht und dass das Wohl des Einzelnen im Vordergrund steht“, erklärt Laura Shuttleworth aus Manchester. „Bischöfe sind ganz normale Menschen wie du und ich. Vertrauen Sie dem Herrn und vertrauen Sie Ihrem Bischof!“
Ein Bischof will helfen, erklärt Bischof Calvelo. „Bitte, tragen Sie die Last der Sünden, Prüfungen oder Schwierigkeiten nicht allein“, sagt er. „Ein Bischof ist jemand, dem man vertrauen kann, zu dem man ehrlich sein und dem man sein Herz öffnen kann. Ein Bischof will wirklich helfen.“
Bischof Calvelo hat die Erfahrung gemacht, dass die Bischöfe ihre Berufung ernst nehmen und voller Nächstenliebe dienen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals mit einem Führungsverantwortlichen zu tun gehabt hätte, der auf seine Berufung stolz gewesen wäre, damit angegeben hätte oder versucht hätte, über andere ungerecht zu herrschen oder Macht auszuüben. Vielmehr sahen alle, mit denen ich zu tun hatte, in ihrer Berufung eine große Verantwortung.“
Bischof Dätwyler findet, dass man als Bischof sehr genau beobachtet wird, wie mit einer Lupe. „Die Mitglieder der Gemeinde achten sehr genau auf alles, was man sagt oder tut. Das macht es einem schwer, die eigenen Schwächen zu überwinden. Der Bischof ist ein Mensch wie jeder andere, mit allen möglichen Fehlern. Wir haben mit unserer Berufung jedoch die Aufgabe übernommen, ohne Wenn und Aber Dienst am Nächsten zu leisten und Nächstenliebe zu üben.“
Bischof Brooks weiß sehr wohl, dass Bischöfe nicht vollkommen sind. „Man kann als Bischof nicht vollkommen sein. Man kann ziemlich gut sein, aber man wird immer Fehler machen, die perfekte Gelegenheit verpassen oder irgendetwas vergessen.“ Trotz aller Unvollkommenheit gibt ein Bischof jedoch sein Bestes, um seine Gemeinde zu stärken, meint er. „Mein Amt als Bischof hat mir gezeigt, dass die Kirche von gewöhnlichen Menschen geführt wird, die mit der außergewöhnlichen Vollmacht, die ihnen gegeben wurde, Außergewöhnliches vollbringen wollen.“
Das Amt eines Bischofs in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist ein Ehrenamt. Auch wenn ein Bischof nicht vollkommen ist, wissen die Mitglieder der Kirche seine Führung zu schätzen und vertrauen darauf, dass er von Gott berufen wurde.