„Wahrheit und Toleranz“ ist der Titel einer Ansprache, die Elder Dallin H. Oaks vom Kollegium der Zwölf Apostel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage am 11. September 2011 vor jungen Erwachsenen hielt. Darin nannte er vier oberste Leitsätze, wie man in der Öffentlichkeit für Religion eintreten soll.
Elder Oaks zufolge hängt alles davon ab, dass man in der Öffentlichkeit die Wahrheit respektvoll zu vertreten weiß. „Das Zusammenleben mit beiderseitigem Respekt vor der Verschiedenheit des anderen stellt in der heutigen Welt eine Herausforderung dar“, sagte er. Wahrheit und Toleranz gingen in der Religion wie im öffentlichen Leben Hand in Hand, betonte Elder Oaks. „Wir müssen für die Wahrheit eintreten, auch wenn wir Toleranz üben und Ansichten und Vorstellungen respektieren, die von den unseren abweichen, so wie wir deren Vertreter respektieren.“
Damit besser verstanden wird, wie sich die „Abwägung zwischen Wahrheit und Toleranz“ auf das Auftreten in der Öffentlichkeit auswirkt, bot Elder Oaks folgende Leitlinien als Richtschnur an:
„Wenn jemand, der an Jesus Christus glaubt, seine Auffassung von der Wahrheit in die Öffentlichkeit trägt, muss er sich um Inspiration vom Herrn bemühen und überlegt und weise auswählen, welche Grundsätze per Gesetz oder durch die ausführende Gewalt verteidigt werden sollen. Im Allgemeinen sollte er davon absehen, Gesetze oder Verwaltungsmaßnahmen anzustreben, die nur dazu dienen, seine jeweiligen Ansichten zu fördern – und sei es auch nur implizit –, wie zum Beispiel die Durchsetzung von Gottesdiensten. Der Gläubige kann weniger Vorsicht walten lassen, wenn der Staat Grundsätze schützen soll, die weiter reichen, als lediglich die Ausübung des Glaubens zu erleichtern, zum Beispiel durch Gesetze, die dem Wohl, der Sicherheit und der Moral der Allgemeinheit dienen. …
Wenn ein Gläubiger seine Ansichten in der Öffentlichkeit vertreten möchte, sollte er in seinen Methoden und seinem Auftreten stets gegenüber den Ansichten und Meinungen derer, die seine Überzeugung nicht teilen, tolerant sein. Wir sollten den Extremismus, der unsere Gesellschaft spaltet, nicht verschärfen. Als Gläubige müssen wir uns stets liebevoll ausdrücken und unseren Widersachern mit Geduld, Verständnis und Mitgefühl begegnen. Dem gläubigen Christen ist es geboten, seinen Nächsten zu lieben, zu vergeben und denen Gutes zu tun, die ihn böswillig behandeln. … Als Gläubige sollten wir unsere Argumente und Ansichten auch in einer Weise formulieren, die einer vernünftigen Diskussion und Würdigung zugänglich ist, wie es in einem demokratischen Staat in einer pluralistischen Gesellschaft erforderlich ist. Damit wahren wir die Höflichkeit, die für den Erhalt der Zivilisation unerlässlich ist. …
Ein Gläubiger darf sich von dem bekannten Vorwurf nicht abschrecken lassen, dass er die Moral gesetzlich regeln wolle. Viele Rechtsbereiche sind in der jüdisch-christlichen Moral verankert, und zwar seit Jahrhunderten. Unsere Zivilisation beruht auf Moral und kann ohne sie nicht existieren. …
Ein Gläubiger darf sich nicht fürchten, Gesetze anzustreben, mit denen allgemeine Verhältnisse oder Bestimmungen beibehalten werden sollen, die dazu dienen, die Bedingungen seines Glaubens zu erfüllen, wenn diese dem Wohl, der Sicherheit oder der Moral der Allgemeinheit ebenfalls zuträglich sind. … Wo die Gläubigen die Mehrheit darstellen, müssen sie jedoch stets auf die Ansichten der Minderheit Rücksicht nehmen.“
Abschließend forderte Elder Oaks die Mitglieder der Kirche Jesu Christi auf, „noch klüger und umsichtiger vorzugehen, um ihre Ansichten zu erläutern und zu verfolgen und ihren Einfluss auszuüben, wenn sie welchen haben“.